Die Puppe

„Du Oma, wollen wir Kekse backen?“, fragte Marie und sah mich dabei mit ihren großen brauen Kulleraugen an. Diesem Blick vermag ich mich nicht zu entziehen. Nun, aus diesem Grund hörte ich mich „ ja“ sagen, obwohl ich doch gerade darüber nachgedacht hatte, was heute noch alles zu erledigen sei.

„Oh, cool! Dann hol ich Anna“, meinte Marie und verschwand durch die Hintertür nach nebenan, um ihre große Schwester zu holen.

„Warum kann ich den beiden bloß nichts abschlagen? Was soll´s morgen ist auch noch ein Tag“, seufzte ich. Kurze Zeit später standen meine zwei Mäuse in der Küche.

„Mehl, Butter, Zucker und nun noch Mandeln.“ Ich zählte auf, was alles in die Schüssel kommt.

„Noch was vergessen?“, überlegte ich und tippte mit dem Zeigfinger an die Schüssel.

„Weiß nicht“, überlegte auch Marie.

„Oh, da fällt mir ein, da müssen ja noch Eier rein!“, merkte ich.

„Das hört sich lustig an“, fand Anna.

„So und jetzt alles verkneten“, sagte ich und vermischte alles zu einem großen Klumpen, den wir danach ausrollten.

Beim Ausstechen fragte Anna: „Du Oma, ich wünsche mir eine Puppe. Ob der Weihnachtsmann mir auch die richtige bringt?“

„Da bin ich ganz sicher“, antwortete ich und legte die Kekse aufs Backblech.

„Warum bist du sicher? Wie kann er das wissen?“, hakte Anna nochmal nach.

„Ja, wie?“, wollte nun auch Marie wissen.

„Na, wenn man sich etwas ganz doll wünscht, dann weiß er es einfach.“ Etwas Besseres fiel mir gerade nicht ein. Mit dieser Antwort waren die beiden nicht zufrieden und bohrten weiter.

„Nun gut, wenn die Kekse soweit sind, koche ich einen Kakao und erzähle euch eine Geschichte. Da werdet ihr sehen, was der Weihnachtsmann alles weiß“, beschloss ich.

Als wir gemütlich am Tisch saßen, zündete ich noch eine Kerze an und erzählte:

 

„Als ich noch ein Kind war, wollten meine Eltern und ich einen Schaufensterbummel machen. Es war der erste Advent, ich drückte gerade meine Nase an die Fensterscheibe und beobachtete ein paar dicke Schneeflocken. Sie segelten langsam vom Himmel und zerfielen in Nichts, als sie den Boden berührten. „Sabine komm schon, was machst du denn?“, rief mein Vater ungeduldig „die Schaufenster sind alle schon so weihnachtlich.“

„Aber es fängt doch an zu schneien.“ Ich hatte nicht so richtig Lust auf einen Spaziergang.

„Das hört doch gleich auf. Nun komm schon“, rief mein Vater vom Flur her.

„Na gut!“, maulte ich, zog meinen roten Mantel über und schlüpfte in die grauen Stiefel.

Mein Vater behielt Recht, als wir zur Tür hinausgingen, schneite es nicht mehr. Wir liefen die kleine Anhöhe hinunter über den Kirchplatz, vorbei an der großen alten Kirche, zur Geschäftsstraße. Richtig weihnachtlich waren die Schaufenster geschmückt und ich war froh, doch mitgegangen zu sein. Wir liefen die mit Girlanden und Glocken geschmückte Straße entlang von einem Schaufenster zum anderen.“ 

 

„Oh die Glocken gibt’s doch immer noch!“, warf Anna ein.

„Stimmt, sie sind schon erneuert worden in all den Jahren, aber sie sehen fast genauso aus wie damals“, erinnere ich mich.

„Erzähl weiter, wo bleibt denn der Weihnachtsmann?“, fragte Marie ungeduldig und hüpfte auf dem roten Küchensofa herum.

„Dann setz dich wieder und ich erzähle weiter.“ Schwups rutschte sie die Rückenlehne herunter und saß wieder auf dem Sofa. Sie nahm ihre Tasse, trank den Kakao und sah mich fragend an. „Wie geht’s weiter?“

 

Als wir wieder am Kirchplatz ankamen, meinte meine Mutter: „Lasst und noch ein Stück in Richtung Bahnhof gehen.“ Wir steuerten einen Spielzeugladen an und da standen sie, die neuesten Puppen mit weißen Haaren.

„Also ich bin der Meinung, die Käthe-Kruse Puppen sind immer noch die schönsten. An diese neuen Puppen muss man sich erst mal gewöhnen!“, sagte meine Mutter mit abschätzendem Blick auf die Schaufensterausstellung. Aber ich fand sie schön, ich fand sie alle so schön!

Nun war es so, dass mein Schulweg an diesem Laden vorbeiführte. Daher warf ich jeden Tag einen Blick auf die Puppen und immer mehr stach mir eine besonders ins Auge.“

 

„Au, das tut doch weh“, sofort bedauerte mich Marie.

„Du Dummchen, das sagt man doch nur so“, amüsierte sich Anna über ihre Schwester.

 

„Also Anna! Marie - ich meinte natürlich, je öfter ich die Puppen ansah, umso schöner fand ich die eine - die kleinste mit dem niedlichsten Gesicht. Wie gerne hätte ich doch diese Puppe gehabt. Jeden Tag erzählte ich zu Hause von dieser Puppe. Bis eines Tages meine Mutter ihre Stiefel anzog und zu mir sagte: „Komm doch mal mit und zeig mir diese besondere Puppe.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Am Schaufenster angekommen zeigte ich auf Silvia, einen Namen hatte ich ihr schon gegeben. „Warte mal hier draußen“, mit diesen Worten verschwand  meine Mutter im Geschäft.

„Leider ist die Puppe schon verkauft“, meinte sie kurz, als sie zurückkam. Am nächsten Tag, auf dem Heimweg von der Schule, blieb ich vor dem Schaufenster stehen. Ein Platz war leer. Traurig sah ich auf die Stelle, wo gestern noch meine schöne Silvia gestanden hatte. Auch an den folgenden Tagen sah ich immer wieder auf den leeren Platz, die Puppe blieb fort und es geschah einfach kein Wunder. Welches Kind würde sich wohl über diese schöne Puppe freuen können? Vielleicht könnte ich eine von den anderen nehmen. Aber sie erreichten mein Herz nicht. Nein ich hätte gerne Silvia gehabt! Die anderen wollte ich nicht.

Dann kann der Heilige Abend, als ich mit Oma aus der Kirche zurückkam, öffnete mein Vater die Tür und sagte: „Der Weihnachtsmann ist gerade gegangen. Komm, sieh mal nach, was der für dich hiergelassen hat.“

Was glaubt ihr wohl? Da stand sie, unter dem Weihnachtsbaum stand meine Silvia!“

 

„Da hast du dich bestimmt gefreut!“, rief Marie aus.

„Oma, dann hat der Weihnachtsmann doch wirklich genau gewusst, welche Puppe du dir gewünscht hast.“ Anna huschte ein Lächeln über die Lippen, sagte aber nichts weiter. 

„Genau und diese Puppe habe ich heute noch“, schmunzelte ich.

„Ha, ich weiß, die steht in deinem Büro auf dem Schrank. Ich habe ihr einen Babyteddy geschenkt“, freute sich Marie. Genau so steht die Puppe heute da, auf meiner Anrichte mit einem winzigen Teddy im Arm und sie zaubert mir noch heute ein Lächeln ins Gesicht.

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